Humor und seine Grenzen (de)
- bschult3
- 25. Jan. 2024
- 5 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 18. Dez. 2024
Wir alle lieben Humor, lieben es zu lachen. Wenige Eigenschaften finden wir an anderen Menschen so sympathisch und attraktiv, wie wenn sie uns aus vollem Herzen zum Lachen bringen können. Doch scheint es manchmal als habe diese positive Konnotation von Humor seine Grenzen. Humor kann auch verletzen, beleidigen, wichtige Themen zu sehr auf die leichte Schulter nehmen. Hat Humor also Grenzen? Gibt es Dinge, die so schlimm sind, dass man nicht über sie lachen sollte? Oder gibt es sogar Dinge, über die man gar nicht lachen kann?
Immer mal wieder werden diese Fragen in den Medien diskutiert. Vor allem dann, wenn mal ein neuer, außergewöhnlich tabuloser Comedian in der Szene groß wird. Worüber also dürfen Comedians Witze machen und worüber nicht? Worüber dürfen wir ganz allgemein lachen und welche Themen sind zu ernst, als das wir erlauben könnten, dass sie humoristisch verarbeitet werden? Kommt es zu solchen Diskussionen beschweren sich meist die einen, dass bestimmte Witze diskriminierend oder verletzend sind, die anderen beschweren sich darüber, dass man heute über nichts mehr lachen darf. Früher oder später werden aber wohl die meisten Menschen Themen finden, über welche es Ihnen schwer fällt zu lachen. Und viele würden wohl darauf angesprochen einwenden, dass dies für sie nicht zu trifft und sie über alles lachen können. Aber ist das so? Kannst du zum Beispiel lachen über Krieg, über Mord und Totschlag? Kannst du lachen über Diktatoren, über Stalin oder das dritte Reich? Kannst du über Armut, Vergewaltigung und Folter lachen? Kannst du lachen über Behinderungen, Krebs und ALS? Und was ist mit Depression, deiner unerfüllten Beziehung oder Suizid? Und wenn all das dich nicht an deine Humorgrenzen bringt, kannst du über dich selbst lachen? Kannst du lachen über das, was dir am Wichtigsten ist, über die schlechten Noten deiner Kinder, deine umfassende Belesenheit, deine professionellen Erfolge oder die ständigen Rechtschreiberfehler in deinem persönlichen Blog? Kannst du lachen über die ewigen Selbstzweifel, die Sinnlosigkeit deines Lebens, die dich plagen mögen? Über die Art und Weise, wie du auftrittst und sprichst?
Ich vermute, dass bei ehrlicher Selbstbetrachtung viele Leser an irgendeinem Punkt in dieser Liste an ihre Grenzen gekommen sind. Ich vermute, dass es ein Thema gab, wo sie innerlich gedacht haben "Also über XYZ kann man doch keine Witze machen!" Oder vielleicht kam beim Lesen eines bestimmten Wortes ein Anflug von Wut hoch. Gedanken, wie ich es nur wagen kann in den Raum zu stellen, dass man über XYZ lacht... Und genau hier wird es spannend. Hier lernen wir etwas über uns selbst. Wenn wir beobachten über welche Themen wir nicht lachen können oder was wir als inakzeptabel befinden, wenn darüber Witze gemacht würden, so können wir herausfinden, womit wir uns identifizieren, bei welchen Themen wir uns betroffen fühlen und wogegen wir psychische Widerstände aufgebaut haben. Denn oft ist es doch so, wenn jemand z.B. nicht über Krebs und seine Auswirkungen lachen kann, dann oft weil er selbst betroffen ist (oder jemand betroffenen kennt) und mit diesem Schicksal hadert. Er erfährt sich als Opfer (hier einer Krankheit). Auf der anderen Seite gibt es auch Menschen, die nicht selbst betroffen sind und sich trotzdem dafür einsetzen, dass über etwas bestimmtes nicht gelacht werden darf (z.B. Menschen, die selbst nicht behindert sind, aber dafür plädieren, man dürfe keine Witze über Behinderte machen). Hier spielt eine Verwandtschaft der unakzeptierten Themen eine Rolle. So können überzeugte Feministen (die sich gegenüber der Gesellschaft als Opfer durch ihr Geschlecht wahrnehmen) oft nicht über Witze über andere Minderheiten lachen, welche sich womöglich ebenfalls als benachteiligte Opfer fühlen könnten. Parallel können oft Menschen, in deren Selbstbild Krankheit zum Feind wurde (wie bei vielen Ärzten oder Schwerkranken), schlecht über Krankheiten lachen, von denen sie selbst gar nicht betroffen sind. Konservativen fällt es schwer über starke Männer, über Status und Erfolgsstreben oder ihre festen Rollenbilder zu lachen. Die Grenzen unseres Humors sind also nicht immer nur durch ganz konkrete Dinge, wie eine bestimmte Krankheit definiert, sondern richten sich viel mehr nach der allgemeinen Selbstwahrnehmung. So ist es kein Wunder, dass die Dinge, die ich oben als herausfordernde Beispiele aufgezählt habe, fast ausnahmslos auf Erfahrungen von Schmerz und Leid anspielen. Dies ist gewissermaßen das größte Tabu. Kein Mensch sollte leiden. Krankheit, Schmerz, Schicksalsschläge und Tod sind Fehler im System, Beweis für die Nichtexistenz Gottes, für die willkürliche Natur des Universums. Wir Menschen fühlen uns gegenüber dem Leid der Welt und der Schwere unseres eigenen Lebens als Opfer fremder Kräfte. Und weil Schmerz und Leid und Tod im Leben nicht vorkommen sollten, stemmen wir uns mit aller Kraft dagegen. Wir forschen unermüdlich nach neuen Therapien und Methoden der Heilung, der Schmerzlinderung und der Lebensverlängerung. Wir essen gesund und bewegen uns viel, damit wir lange gesund bleiben und später wenig leiden, auch wenn uns das gesunde Essen nicht schmeckt und wir es eigentlich hassen zu joggen. Wir leben in ständigem psychischem Widerstand zu Schmerz und Leid, in ständiger Angst vor Krankheit und Tod.
Doch was bedeutet dies für unser Leben?
Zunächst einmal bedeutet es, dass wir gesamtgesellschaftlich einen dicken, fetten Stock im Arsch sitzen haben und dass es gute Comedians verdammt schwer haben frei ihrer Kunst nachzugehen und ein großes Publikum zu begeistern. Es bedeutet außerdem, dass wir ständig leiden. Wir leiden an Trauer und Selbstmitleid über Vergangenes und an Angst über das Schlimme, was noch kommen mag. Und wir leben, psychisch gesehen, nicht im Kontakt mit der Realität. Wir trennen uns psychisch vom Leben und uns Selbst ab in der Hoffnung so dem Leid zu entgehen. Das Blöde ist nur, dass die Welt so gemacht ist, das wir wirkliches Glück nur erfahren können, wenn wir uns selbst (und die Welt) annehmen, wie wir sind. Ein gutes Leben setzt voraus, dass wir psychisch im liebevollen Kontakt mit der Realität sind (da der Widerstand dagegen, eben Leid erzeugt). Das klingt jetzt sicher paradox und das Schlimme (oder Schöne, wie man es sieht) daran ist, dass es paradox ist! Der Widerstand gegen das Leid der Welt und der Versuch das Leid als Teil des menschlichen Lebens zu vermindern erzeugt erst das psychische Leid unter dem wir so sehr leiden. In anderen Worten: Der Weg zur Hölle ist gepflastert mit guten Vorsätzen.
Sollte es also erlaubt sein über ALLES Witze zu machen, selbst über die schmerzhaftesten Facetten der menschlichen Existenz? Ich denke, dass dies nicht nur erlaubt sein sollte, ich denke es ist sogar geboten. Es ist eines der tugendhaftesten Dinge, die man tun kann. Wenn es etwas gibt, das das Leid der Welt transzendieren kann, dann ist es Humor. Er ermöglicht uns Abstand zu gewinnen von unserem eigenen Schicksal, unter welchem wir oft so schwer leiden. Humor zeigt uns auf, wenn oft auch nur für kurze Momente, dass das Glück im Leben nicht davon abhängig ist, keinen Schmerz zu erfahren, sondern davon welche Haltung wir zu diesem Schmerz einnehmen, eine Haltung des Widerstandes oder eine Haltung der liebevollen Hingabe, der Akzeptanz. Wenn es so etwas wie eine spirituelle Praxis geben sollte, dann ist es das Lachen über uns selbst und andere, dann ist es der Humor, dann ist es die aufrichtige Unernsthaftigkeit.
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